Das Internet hält schon seit einigen
Jahren Einzug in die Universitätswelt. Zuerst diente es den Wissenschaftlern
als neues Kommunikationsinstrument; seit Beginn der 1990er Jahre beschäftigen
sich auch immer mehr Studierende mit diesem Medium.
In diesem Teil unserer Seminararbeit sollen anhand einiger Projekte neue
Formen des Studierens vorgestellt werden.
1 Studieren übers Internet
4 Situation an der Philipps-Universität Marburg
Gerhard Bongardt (9. Juni 1997)
1 Studieren übers Internet (TU Chemnitz-Zwickau)
Seit September 1995 bietet die TU Chemnitz-Zwickau
den Aufbaustudiemgang
Informations- und Kommunikationssysteme an, der komplett übers
Internet absolviert wird: 240 Studenten sind bereits eingeschrieben. Die
Universität versucht dabei, statt die klassischen Veranstaltungsformen
mittels neuer Technologien zu übertragen, neue Studienformen zu schaffen.
Das Studienziel ist in zwei Teile untergliedert;
zuerst sollen die Studenten die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien (Architekturen, Anwendungen, Wirtschaftlichkeit) kennenlernen, danach werden weitergehende technische Kenntnisse zum Aufbau und Management von lokalen Netzen (LAN) und Fernnetzen vermittelt (Netz-Infrastruktur, Protokolle, Management).
Im einzelnen sieht das Studium wie folgt aus:
Vier Stunden Verbindungszeit pro Woche sind erforderlich.
Monatlich bekommen die Studenten einen Kursteil zugeschickt.
Betreuer können per Email konsultiert werden.
Die Semesterwochenstundenzahl beträgt ungefähr zehn Stunden (abhängig vom Lernverhalten des einzelnen), so daß sich dies Studium als Weiterbildung parallel zum Beruf anbietet. Aus diesem Grund entstand auch das Angebot eines Internetstudiums; lokale und regionale Unternehmen und Behörden suchten neutrale und gute Weiterbildungsangebote für ihre Angestellten.
Im zweiten Teil des Studiums sollen auch Laborexperimente durchgeführt werden. Dafür stehen Rechner zur Verfügung, die an einen Steuercomputer angeschlossen sind, der wiederum von den Studenten übers Internet angesprochen werden kann. Allerdings müssen die Studenten rechtzeitig vor der Durchführung von Laborexperimenten, ihren Laboraufbau bestellen.
Die Fernuniversität
Hagen mit den Sponsoren Nordrhein-Westfalen, Sun Microsystems, Sybase
und Oracle versucht neue Wege für das Fernstudium zu entwickeln. In
einem Modellversuch wird eine virtuelle
Universität aufgebaut.
Um das Wesen des Online-Studiums besser verstehen zu können, soll
erst die klassische Fernuniversität beschrieben werden: Wie an anderen
Universitäten schreiben sich die Studierwilligen an der Universität
Hagen ein. Alle notwendigen Unterlagen (Vorlesungs-, Übungs-, Seminarunterlagen,...)
werden den Studenten von der Universität zugeschickt. Es gibt nur
wenige Präsenztermine im Semester, z. B. wenn Klausuren abgelegt oder
Referate gehalten werden müssen.
An der Fernuniversität Hagen können sich die Studenten mittlerweile
über Modem in ihre Uni einwählen. Bisher sind es 700 Studenten
aus den Fachbereichen Informatik und Elektrotechnik. Die Fernuniversität
hält einige allgemeine Informationen bereit, und daneben gibt es bestimmte
Bereiche, die nur über Paßwort zugänglich sind. Dort bietet
sich für die Studierenden ein Forum wie an einer Präsenzuni:
Skripte können abgerufen werden, übers Newsgroups können
Seminargruppen miteinander kommunizieren und Referate vorbereiten, Professoren
halten Sprechstunden, die Bibliothek kann durchforstet werden,...
Im einzelnen umfaßt die "Virtuelle
Uni Hagen" folgende Elemente:
Auch in Berlin wird an einer virtuellen Universität (Virtual College) gebastelt, die eine etwas andere Zielsetzung hat:
Mittlerweile beteiligen sich allerdings weit mehr Institutionen als die TU Berlin an diesem Projekt:
Die technische Realisierung des Projekts ist hier in einer Grafik zusammengefaßt.
An einigen Universitäten laufen oder liefen in den letzten Jahren Projekte zum Thema Teleteaching in Verbindung mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissnschaft, Forschung und Technologie und der Deutschen Telekom, dem DFN (Deutsches Forschungsnetz), dem Fraunhofer Institut und anderen. Insbesondere Universitäten mit großen physischen Entfernungen oder ausgelagerten Fachbereichen interessieren sich dafür. So arbeiten zum Beispiel folgende Universitäten am Teleteaching:
Hier sei das Beispiel der Universitäten Dresden und Freiberg kurz erläutert. Das Projekt lief zwischen dem 1. 10. 1995 und dem 31. 12. 1996 unter Beteiligung der Fakultäten Informatik, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften (Dresden) sowie des Instituts für Informatik (Freiberg) ab. Folgende Meilensteine gab es:
Ziele dieses Projektes waren die multimediale Unterstützung von Lehrveranstaltungen, die Förderung von Online-Interaktion sowie die bessere Kooperation zwischen den Fakultäten und Universitäten. Insbesondere Studenten, die auf Interdisziplinarität, Forschungskooperation oder auf die Überbrückung der räumlichen Entfernungen angewiesen waren, profitierten davon.
Im einzelnen erfolgten folgende Maßnahmen:
Zur Basis-Infrastruktur zählte:
4 Situation an der Philipps-Universität Marburg
An der Philipps-Universität Marburg blieb die Internet-Entwicklung in den vergangenen Jahren nicht stehen. Den meisten Studierenden dürften die zur Verfügung stehenden Mittel selbstverständlich vorkommen. Deshalb folgt an dieser Stelle eine kurze Darstellung der Marburger Lage.
Persönlicher Internetzugang für Studierende und Lehrkräfte: Jeder Student bekommt bei Einschreibung oder Rückmeldung das Angebot für DM 10,- pro Semester beim Hochschulrechenzentrum ein Stud-Mailer-Konto (5.356 Teilnehmer) zu erlangen, ebenso können Lehrkräfte und Angestellte ein Konto beim Mailer (2.859 Teilnehmer) des Hochschulrechenzentrums bekommen. Darüber hinaus bieten die meisten Fachbereiche eigene Konten an. Solch ein Zugang liefert die folgenden Dienste:
Über das WWW präsentieren sich jetzt bereits alle Fachbereiche sowie andere Universitätseinrichtungen:
Das bedeutet, daß viele universitäre Informationen aus dem WWW gewonnen werden können. Neben Vorlesungsunterlagen, Lehrplänen, Übungen, Terminen, Adressen und Telefonnummern sind auch Sportkurse, Mensaspeiseplan und anderes abrufbar. Außerdem reagieren schon viele Professoren und noch mehr wissenschaftliche Mitarbeiter auf Emailanfragen.
Auch die Universitätsbibliothek kann per Telnetverbindung (Login: opc) durchforstet werden. Hat man das gesuchte Buch gefunden, so kann man es direkt vom Rechner aus bestellen.
Mit der Verbesserung der technischen Mittel
(insbesondere Videoübertragungsmöglichkeiten) sind sicherlich
noch weitere Potentiale auszuschöpfen. So ist abzusehen, daß
sich Studierende in der Zukunft auch zunehmend an anderen Hochschulen "umsehen"
werden. Es bieten sich Möglichkeiten, kombinierte Studiengänge
zwischen Universtäten anzubieten, Bibliotheken können sich in
ihrem Angebot ergänzen, Partnerschaftsbeziehungen zwischen Universitäten
werden eine viel größere Bedeutung bekommen,...
Außerdem wird das neue Medium Internet gerade für Universitäten in strukturschwachen Regionen interessant, denn mittels moderner Kommunikationswerkzeuge können Studenten geworben werden, die ansonsten wegen der Entfernung oder des mangelnden Freizeitangebotes zu den großen Universitäten abwandern würden.
Andererseits wird das Internet niemals in der Lage sein, ein persönliches Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden bzw. Lernenden untereinander zu ersetzen. Zwar werden heute schon sehr viele Gespräche innerhalb einer Uni per Email abgehalten, aber bei schwierigen Fragen geht man doch lieber persönlich zum Gesprächspartner.
Zweifelsohne wird die Entwicklung darauf hinauslaufen, daß alle Studierenden früher oder später gezwungen sein werden, sich mit dem Internet zu beschäftigen, wollen sie nicht den Anschluß verpassen. Zumindest Email und WWW werden meines Erachtens in Zukunft noch wesentlicher stärker genutzt werden. In einigen Veranstaltungen ist es heute schon so, daß alle Teilnehmer sich die Unterlagen aus dem WWW-Angebot des Fachbereichs suchen müssen, unabhängig davon, ob sie überhaupt mit diesem Medium umgehen können...
Diskussionswürdig ist nun sicherlich die Frage, ob moderne Studenten (ebenso wie beim Studium mit herkömmlichen Medien) gezwungen sein sollten, sich mit dem Internet zu beschäftigen, oder ob die Universitäten in Zukunft "zweigleisig" fahren und für "konservative" Studenten die alten Verbreitungsmechanismen aufrecht erhalten. Meiner Ansicht nach dürfen heutige Studenten sich nicht dem Medium Internet verschließen (unabhängig vom Studiengang); sie sollen ruhig gefordert werden, das Internet zu benutzen; allerdings sollte dies in einem verantwortungsvollen Rahmen geschehen (nicht aus purer Begeisterung eines Professors für das Internet). Wie beim Telefon wird in Zukunft von den Menschen verlangt werden, mit dem Internet umgehen zu können, man muß es dennoch nicht mögen (müssen)!
Gerhard
Bongardt (9. Juni 1997)