Informationsflut

 

 

Einleitung

"Jeden Tag muß man von dem Naturrecht, Millionen Dinge nicht zu erfahren, Gebrauch machen."
(P. Sloterdijk: "Kritik der zynischen Vernunft")

Aus der Physiologie ist bekannt, daß nur ein geringer Teil der Reize, die die Sinne wahrnehmen, verarbeitet wird. Auch wenn sich jeder noch so anstrengt, würde er es nicht schaffen, alle Informationen von einem Tag sich anzueignen. Es existiert eine Art Filter, um uns (bzw. unser Gehirn) vor Überlastungen zu schützen, dieser Mechanismus ist im Internet (noch) nicht vorhanden. Es herrscht eine Informationsflut.
Das Thema ist momentan eines der beliebtesten Schlagwörter in Bezug auf das Internet, dabei begegnet uns die Thematik auch in anderen Bereichen, z.B. im Bereich des Fernsehens, des Radios und der Buchwelt. Es ist überall eine sehr ähnliche Problematik, das Wissen der Menschen verändert sich ständig und in unserer Zeit ist es zu einem Brauch geworden, das erlangte Wissen "nieder zu schreiben". Die Vorstellung, daß jeder Mensch auf dieser Welt, jedes Erlangen fundamentalen Wissens veröffentlichen würde, ist so erschreckend, daß einen Freude überkommt, daß die meisten Menschen dies nicht für nötig halten. Aber schauen wir uns einmal die Buchwelt an und den dortigen Boom in Bezug auf Java - Bücher. Jeder glaubt, daß er ein besseres Buch schreiben kann. Es gibt ja auch fast keine zwei Bücher von den nahezu 100 Büchern über Java, die gleich sind. Die Qualität und die Quantität der Bücher ist so unterschiedlich, daß wir uns ohne Hilfsmittel wie Empfehlungen von Vertrauenspersonen oder "Marken - Namen" nicht mehr zurechtfinden würden. Wir versuchen eine Kategorisierung vorzunehmen: "Mit diesem Verlag / Autor habe ich bisher gute Erfahrungen gemacht, dann wird auch diesmal das Buch gut sein." oder "Die Bibliothekarin hat mir dieses Buch empfohlen, ich vertraue auf ihr Urteil."

 

Wieso funktioniert die Kategorisierung im Internet momentan nicht so gut?

Einer der Gründe ist sicherlich, daß das Medium noch neu ist und die meisten Menschen nicht wissen, wie sie damit umgehen müssen. Das Standardbeispiel für die Informationsflut, bzw. den Informationsmüll ist, daß mit einer Suchmaschine ein Begriff gesucht wird. Warum dies meistens fehlschlägt, liegt dort auf der Hand: Suchmaschinen benutzen "Pattern - Matching", d.h. sie überprüfen nur die Zeichenfolgen von der Suche mit dem Inhalt von Texten. Es wird nicht auf den Zusammenhang geachtet (und das kann z.Z. auch kein Computer). Wenn ich nach "Informationsflut + Hesse" suche so werden mir Verweise auf Texte gegeben, die diese beiden Wörter beinhalten. Was nützt mir das, wenn diese Begriffe aber in zwei verschiedenen Absätzen des Textes stehen und keinen Zusammenhang haben?
Dieses Manko wird bei einigen Suchalgorithmen behoben, indem eine Nachbarschaftssuche durchführt wird. Dies bedeutet aber auch nur, daß untersucht wird wieviel Zeichen / Wörter zwischen den verschiedenen Suchbegriffen im Text sind, und dieser Abstand nicht über einer festgelegten Grenze liegen darf. Noch raffinierter wird es, wenn ich die Suchmaschine mit Grammatik füttere und Sätze und Abschnitte erkennen lasse. Aber gibt es eine eindeutige Grammatik? Alleine die verschiedenen Sprachen machen es schier unmöglich so etwas zu realisieren, ganz davon abgesehen, daß die KI (=Künstliche Intelligenz) sich sicher sehr freuen würde wenn das möglich wäre, aber sie steckt da selber noch in den Kinderschuhen. Es gibt immer nur Hilfskonstrukte, die eine Annäherung an das Ziel ermöglichen.
Wenn wirklich eine qualitative Suche stattfinden soll, so man kann sich an Professionelle wenden, die den Inhalt der Texte kennen und eine Bewertung durchführen. Dieses Prinzip hat sich auch bei einigen Katalogen im Internet durchgesetzt, allerdings werden dort (z.B. YAHOO) meist nicht "genormte" Stichworte wie in der Bücherwelt verwendet. Aber solche Verfahren brauchen ja s chließlich auch ihre Zeit bis sie eingeführt sind, als es durch Gutenberg möglich war, schnell Bücher herzustellen, hat es auch sehr lange gedauert, bis sich ein Kategorisierungssystem bewährt hatte.
Heute wie damals ist es ein Problem, mit den neuen Techniken richtig umzugehen, früher gab es mehr Analphabeten, die lesen lernen mußten, um das Medium zu benutzen, heute gibt es Internet-"Analphabeten", die nicht wissen, wie sie mit diesem Medium umgehen müssen, und die eingeführt werden müssen, wenn sie das Medium nutzen wollen. Selbst wenn sie wissen, daß es Suchmaschinen gibt, aber sie nicht wissen, wie sie mit ihnen umgehen müssen, hilft der beste Suchalgorithmus nichts. Es hat wenig Sinn einen Begriff suchen zu lassen, der ständig gebraucht wird. Es muß eine Verknüpfung von Worten sein, die möglichst nur in dem gesuchten Zusammenhang zu finden ist. Wie ich aber die richtige Verknüpfung finde, ist immer noch ein Problem.

 

Vergleich von Buch und elektronischen Dokumenten

Im Mittelalter erfand J. Gutenberg (lebte von 1400 bis 1468) die Buchdruckkunst (1436). Dadurch wurde Wissen einfacher zugänglich und konnte in großen Mengen gesammelt und an die nächste Generation weitergegeben werden, eine wesentliche Voraussetzung für die technischen, sozialen und kulturellen Veränderungen der letzten Jahrhunderte. Allerdings schränken die Fixkosten dieser Art der Informationsverbreitung den Kreis der möglichen Informationsanbieter ein und machen den Großteil der Gesellschaft zu passiven Konsumenten. Im Internet dagegen kann jeder Informationen mit geringem Aufwand und zu niedrigen Kosten oder gar kostenlos anbieten und konsumieren, was zu weitreichenden Konsequenzen führen kann. In der Wissenschaft werden heute Publikationen an Verlage weitergegeben, von denen Bibliotheken und andere Wissenschaftler diese erwerben können. Mit minimalen Produktions- und Vertriebskosten könnte dieser Umweg über die Verlage vermieden werden durch direkte Veröffentlichung im Netz und Ankündigung in entsprechenden Newsgroups. Im Gegensatz zu Büchern, bei denen immer erst eine Mindestauflage verkauft werden muß, um die hohen Fixkosten auszugleichen, können Fehler direkt ohne Schwierigkeiten behoben werden. Rückmeldungen und Reaktionen der Leser sind sehr viel einfacher möglich und können direkt diskutiert werden. Problematisch ist allerdings die Qualitätssicherung und die Sicherstellung des Copyrights, da jeder elektronisch gespeicherte Text beliebig veränderbar ist.

 

Besonderheiten der Informationsverbreitung über das Internet

Wesentliches Merkmal der Informationsverbreitung im Internet ist die Umkehrung des Informationsflusses. Bisher herrschte in der Gesellschaft eine ,,top-down``- Struktur vor, Informationen wurden von wenigen zusammengetragen und von den (Massen-)Medien verteilt. Dies bedeutet zum einen, daß wenige die Informationen für eine breite Masse auswählen und so eine Vorauswahl treffen, und zum anderen daß die Informationsmenge oft aus Platz- und Zeitgründen beschränkt ist.
Im Internet kommen Informationen dagegen ,,von unten``. Informationen können von jedem angeboten werden, Randthemen von Minderheiten (Religionen, Homosexualität, ausgefallene Hobbys) finden auch hier ihren Platz. Hintergrundinfos können sehr viel detaillierter werden, und Informationen lassen sich schneller verbreiten.

 

Information im "Virtuellen Raum"

Ist der einzige Aspekt der Informationsflut, daß ich nicht den richtigen Text finde? Nein, es ist nur ein Symptom! Das Problem ist hier, daß jede Information die irgendwo auf dieser Welt bereitgestellt wird, von jedem eingesehen werden kann. So gibt es einen "Ort" (den Cyberspace), wo alle Informationen erhältlich sind. Stellen Sie sich mal vor, sie währen in einer Bibliothek, die alle Bücher der Welt ohne Systematik beinhaltet, wer soll da noch die Übersicht wahren. Der Cyberspace hatte im März 1997 fünfmal soviel Einwohner wie New York und umfaßte 500.000-mal die "Fläche" von New York (Daten aus Spiegel spezial 3/97). Um in dem Cyberspace Übersicht zu erlangen, sind Suchmaschinen und Kataloge eingeführt worden, mit welchen Resultat haben wir oben schon gesehen.
Das nächst bessere System war, daß eine Gemeinschaft aufgebaut wird, die sich zusammengehörig fühlt und sich selbst organisiert. Denn eine Gemeinschaft, baut sich selbst eine Struktur auf, in der sie Nachforschungen betreibt. Ein sehr nettes Beispiel sind Netzstädte, also eine virtuelle Städte. Eine solche "Stadt" hat "Stadtviertel", z.B. Banken- oder Künstlerviertel usw.. Hier wird sehr deutlich, daß der Mensch eine Orientierung sucht, die seinem realen Leben entspricht, aber das ist nur der Anfang, es ist eine Methode, neue Dinge "in den Griff" zu bekommen. Meiner Meinung nach werden solche Städte in der Zukunft nicht mehr existieren, da dort ein anderer Weg gefunden seien wird, der einem die Übersicht im Internet ermöglicht. Der Computer wird ja heute auch nicht mehr zu reiner Datenhaltung verwendet, die auch ohne ihn möglich wären, es sind Dinge erfunden worden, die den Computer ausnutzen aber nicht in der realen Welt zu verwirklichen sind (z.B. eine Simulation von einer Supernova).

 

Informationsflut und E-Mail

Aber was ist mit den Schwemmen von E-Mail, die im Internet existieren? Das schlimmste ist, daß Werbung auf einmal ganz einfach verschickt werden kann, so werden E-Mail - Adressen als teure Ware gehandelt. Die Industrie kann ohne teure Versandkosten den potentiellen Konsumenten direkt und auf Einzelne zugeschnittene Werbung zuschicken. Aber Ähnliches existiert ja schon länger, wer bekommt nicht ab und zu Post von Firmen mit uninteressantem Werbematerial, die Methoden werden nur immer ausgetüftelter (siehe Werbung). Z.B. hat ein Rechtsanwalt in den USA 100 E-Mail pro Tag bekommen, diese mußte er alle durchlesen, egal was sie für einen Inhalt haben und ob sie ihn interessieren. Er hat aber auch Angst, einen Filter einzusetzten, weil dabei wichtige Informationen verloren gehen könnten.

 

Kommentar

Wer sich einmal im Internet aufgehalten hat, der hat Informationsflut erlebt. Alleine das Wort "surfen" drückt es schon ganz gut aus, ich lasse mich von den Informationen berauschen und gleite dahin, ohne tiefer zu gehen. Wenn ich nach etwas Bestimmten suche und dabei auf eine Seite gelange, die auch noch Informationen enthält, die mich auch interessieren, bzw. auf Verweise stoße, die sich interessant anhören, so verzweige ich mich weiter zu diesem Thema. Im Endeffekt habe ich aber nichts wirklich gefunden, sondern soviel verschiedene Informationen bekommen, daß ich sie gar nicht mehr behalten habe, ich sozusagen aus einem Schutzmechanismus heraus abschalte. Das Beispiel zeugt natürlich in erster Linie von unsystematischem Vorgehen, und das werden die wenigsten eingefleischten Internetuser machen. Aber was steckt dahinter, wenn ich mich einfach nur dazu zwinge, nicht dem interessanten Verweis zu folgen? Doch nichts anderes als ein Mechanismus, mich vor der Informationsflut zu schützen. Solche Schutzmechanismen können aber auch immer schwieriger aufrecht zu erhalten sein, wenn mich die Neugier zu sehr plagt. Dies kann dann sehr schnell zur Sucht werden. Ich habe die Möglichkeit, mich zu informieren, warum mache ich es dann nicht auch?
Es ist das Dilemma, das unter dem Begriff Informationsgesellschaft schon länger bekannt ist. Es herrscht ein Leistungsdruck auf dem Menschen dieser Gesellschaft, der ihn dazu zwingt, immer "up-to-date" zu sein. Aber warum, was hat der Mensch persönlich davon zu wissen, daß in Amerika ein Mensch sitzt, der sich in einem bestimmten Thema gut auskennt, wenn dieses Thema mich persönlich kein Stück interessieren würde, wenn ich nicht "up-to-date" sein müßte? Gut, das ist unsere Zeit, und die Gesellschaft ist nicht von heute auf morgen zu ändern, aber wir laufen immer weiter in diese Richtung. Es ist dieser Zwang, der uns dazu bringt, immer mehr Information zu sammeln und weiterzugeben. Es ist das Gesetz der Wirtschaft, daß uns dazu bringt, uns immer mehr von unseren wirklichen Interessen zu entfernen. Es ist das Konkurrenzdenken, daß uns dazu bringt, unsere Interessen zu verschieben. Woher kommt dieses Konkurrenzdenken? Ich würde sagen, daß es hauptsächlich an der Knappheit der natürlichen Ressourcen liegt, die wieder durch die Übervölkerung der Erde entsteht. Jetzt habe ich es doch wieder geschafft, alles auf die Übervölkerung schieben zu können, das ist nichts Neues und nicht besonders kreativ, aber meiner Meinung nach wirklich ein sehr großes Problem, das unser ganzes Denken und Handeln beeinflußt, und der entscheidende Faktor ist, warum überhaupt ein Internet entstanden ist. Das Internet ist aber auch wieder nur ein Mittel, den Bestrebungen der Wirtschaft zu dienen, die Informationsflut hat es vorher schon gegeben und würde es auch ohne das Internet auf eine andere Art geben.

 

Zahlen über das Internet

Um sich ein Bild von der Fülle der Informationen zu machen sind hier ein paar Zahlen über das Internet:

Die Zahlenwerte stammen aus der Zeitschrift "Pl@net" vom November 1995

 

Literatur & Links: