Wenn man heute von virtueller Realität und vor allem von virtueller Realität in Spielen spricht, so denkt man dabei i.d.R. an eine Form der virtuellen Realität, die eine vorhandene Realität mehr oder weniger genau abbildet. Hierbei ist oft nicht mehr eindeutig abzustecken, inwieweit einige Simulationen noch Spiele oder doch mehr Lern- und Trainingsprogramme sind. Doch prinzipiell sind alle Spiele, die VR-Technologien nutzen, Simulationen1. Der wesentliche Unterschied zwischen einem klassischem Flugsimulator und einem Computerspiel liegt nicht in den genutzten Technologien oder physikalischen Modellen, sondern darin, daß letzteres nicht versucht die virtuellen Geometrien irgendwelchen realen Geometrien nachzumodellieren. Hierbei nutze ich bewußt den Terminus Geometrie, da die Realitätsnähe des physikalischen Modells der virtuellen Welt nicht nur häufig sehr hoch ist, sondern mir sogar wesentlich für den Grad der Immersion des Spielers scheint.
Doch welche Bedeutung hat es, die Grenze zwischen Spiel und Realwelt-Simulation als fliessend anzusehen? Eine Folgerung dieser Annahme ist es, daß der Nutzer eines Programmes nicht entscheiden kann, ob dessen virtuelle Welt eine Nachbildung einer realen Welt ist, oder sich nur an deren Physik anlehnt, solange nicht direkte Widersprüche wie z.B. fantastische Kreaturen oder Technologien auftauchen. Bei einem Flugsimulator könnte das virtuelle Flugzeug einem realen nachmodelliert sein, es könnte nie vollendete Konstruktionspläne als Grundlage haben oder gar nur für dieses Spiel konstruiert worden sein2.
Nun haben aber Simulationen der realen Welt ebenso wie Spiele keinen direkten Einfluß auf die Realität. Die Konsequenz einer Verwechslung von Spiel mit Realwelt-Simulation wäre im schlimmsten Fall ein falsches Weltbild des Betroffenen. Dieses würde im Extremfall dann zu einem Realitätsverlust für die Person führen.
Doch was wird passieren, wenn man Simulationen zur Telepräsenz3 nutzt? Dabei wird nicht nur eine geographisch entfernte Realität in Echtzeit simuliert sondern dem Nutzer des Systems zusätzlich die Möglichkeit gegeben mittels Robotern auf diese einzuwirken. Für den Nutzer ist dann nicht mehr feststellbar, ob seine Handlungen direkte Auswirkungen auf die Realität haben, oder er eine von der Realität abgetrennte Simulation beeinflusst, da die Schnittstelle in beiden Fällen identisch ist.
So radikal dieser Gedanke auf den ersten Blick scheinen mag - neu ist er nicht. In der Science-Fiction-Literatur gibt es ihn schon recht lange, wohl bekanntestes Beispiel für diese Idee ist der Film Wargames4. Durch die immer realistischere Darstellung durch die VR-Technologien und die steigenden Möglichkeiten der Robotik sind aber immer mehr solcher Szenarien realisierbar. Damit wird es dann vorstellbar, daß ein Spieler ohne sein Wissen dazu mißbraucht wird, Handlungen auszuführen, die er aus moralischen Gründen ablehnen würde5.
Solche Technologien würden es dann sehr schwer machen, zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden, da eine Unterscheidung nicht systemimmanent ist. Ob eine VR-Konsole für die Simulation von Spielewelten oder zu Zwecken der Telepräsenz genutzt wird hat technisch gesehen keine Auswirkung auf deren Konstruktion oder Nutzung. Ohne externe Informationen wie z.B. eine Kennzeichnung könnte kein Nutzer von solchen Geräten unterscheiden, ob sich das, was sich ihm in einem solchen Gerät zeigt, eine Projektion von Realität oder eine erfundene Welt ist - Realität und Fiktion könnten in diesen Systemen vollends verschmelzen.
1 | Eigentlich kann man noch viel weiter gehen, und alle Spiele, die in irgendeiner Art von Welt spielen, als Simulationen auffassen. Ja selbst Schach ist nichts anderes als eine Simulation eines Kriegsgeschehens. Doch wuerde eine derart weitgehende Auffassung von Simulation den folgenden Betrachtungen nicht zuträglich sein. (zurück) |
2 | Dabei können sogar im gewissen Rahmen physikalische Gesetze der realen Welt überschritten werden, aber die grundlegenden physikalischen Eigenschaften müssen realistisch sein, damit das Gefühl entsteht, sich in einem Flugzeug zu befinden. (zurück) |
3 | Beispiele sind Teleoperationen in der Medizin oder die Fernsteuerung von Werkzeugen oder Waffensystemen. Motivationen sind die Nutzung von Spezialistenfertigkeiten über Entfernungen hinweg, z.B. in der Medizin, das Vordringen in ansonsten unerreichbare Gefilde, z.B. bei der Endoskopie oder die Vermeidung von Gefahren für Menschen, so bei Waffensystemen und Chemieunfällen. (zurück) |
4 | In diesem Film dringt ein Junge in das Computersystem ein, das die amerikanischen Atomwaffenbestände kontrolliert. Nicht wissend, mit welchem System er es zu tun hat, spielt er mit dem Computer eine Simulation eines Weltkrieges unter Androhung des Einsatzes nuklearer Waffen. Der Computer setzt die Spielzüge dabei in der Realität um, wodurch es fast zu einem dritten Weltkrieg kommt. (zurück) |
5 | Ähnliches hat meines Wissens schon Hitler gemacht, indem er Schüler abstrakte Transportprobleme lösen lies, um die Ergebnisse für den Transport von Häftlingen in KZs zu nutzen. Für Hinweise zu diesem Punkt wäre ich dankbar. (zurück) |
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