Die neue Welt der Spiele

oder

Wie das Verhängnis über uns kam

Es ist jetzt erst ein paar Jahre her, daß ein bis dahin unbekanntes amerikanisches Softwarehaus namens id-soft ihr neues Spiel „Doom“ veröffentlichte, und eine Version des Spiels kostenlos über das Internet verteilte, in der man einen der drei Level der vollständigen Version komplett spielen konnte. Man spielte einen Soldaten, der gegen Dämonen und andere schreckenserregende Monster kämpfen mußte, um - wie sollte es anders sein - die Welt vor ihnen zu retten. Dazu standen ihm ein Arsenal an Schußwaffen, eine Kettensäge und einige Extras wie Rüstungen, Nachtsichtgeräte und Erste-Hilfe-Pakete zur Verfügung. Der Spieler führte ihn durch eine dreidimensional dargestellte Welt, die mit Hilfe einer neuartigen Echtzeitdarstellung in der Ich-Perspektive dargestellt wurde. Dieses Spiel fand eine Verbreitung wie wohl kein anderes Computerspiel zuvor. Nicht nur die kostenlose Version wurde auf vielen verschiedenen Wegen weltweit verteilt, sondern auch die Vollversion wurde millionenfach verkauft.

Doch nicht der kommerzielle Erfolg ist es, der dieses Spiel so hervorhebt. Auch nicht die damals revolutionäre Technik der 3D-Darstellung, die dafür sorgte, daß man Spieler beobachten konnte, die mit ihrem Oberkörper Geschossen auswichen oder um die Monitorecke zu spähen versuchten. Nein - der wesentliche Aspekt, der das Spiel so interessant macht, sind die Auswirkungen, die es langfristig auf den Spielemarkt, ja auf das Verständnis von Computerspielen hatte. So gab es vorher über kein anderes Spiel vorher eine derart rege Diskussion im Internet. Ganze Newsgroups kannten nur noch dieses Thema.

Auch gab es vorher kein Spiel, dessen Netzwerkunterstützung derartigen Anklang fand, daß ganze Büros von ihrer Arbeit abgelenkt wurden. Bis zu vier Spieler konnten sich gemeinsam gegen die Monster bewähren oder aber - viel beliebter - gegeneinander kämpfen indem sie ihre Rechner über (Null-) Modem verbanden oder an ein lokales Netzwerk anschlossen. Kleine private Netzwerke bildeten sich sehr schnell überall, jeder passionierte Spieler versuchte sich mit seinen Nachbarn zusammenzuschließen, um wenigstens ab und an gemeinsam spielen zu können, Unternehmen und Universitäten konnten dem Mißbrauch ihrer Netze kaum Einhalt gebieten.

Ein weiterer so noch nicht dagewesener Aspekt entstand dadurch, daß id-soft, entgegen bisheriger Vorhergehensweise weite Teile der Programm- und Datenstruktur des Spiels publik machte, so daß viele Editoren und sogenannte Patches für das Spiel entstanden. Erstere boten die Möglichkeit neue Level zu entwerfen, aber auch Graphiken und Geräusche auszutauschen. Letztere veränderten mehr oder weniger gut das komplette Erscheinungsbild des Spiels, so daß z.B. die Freunde der Alien-Kinofilme das Spiel in einer den Filmen angepaßten Umgebung spielen konnten. Auch wenn sowohl die Editoren als auch die Patches immer nur für die kostenpflichte Vollversion waren, so entstand doch eine internationale Szene, die die neuesten Level und Patches austauschte.

Als wenig später auch noch eine Erweiterung entstand, die es ermöglichte, Doom über Server im Internet zu spielen, war der Weg für internationale Wettbewerbe und Mehrspielerspiele für jedermann geebnet. Man brauchte sich nur im Internet auf einem entsprechenden Server anzumelden und schon fand man gleichgesinnte, die mit bzw. gegen einen kämpfen wollten.

Heute hat ein Spiel ohne Netzwerkanbindung auf dem Markt kaum eine Chance. Internetanschlüsse werden dabei immer mehr unterstützt, viele kommerzielle und auch nichtkommerzielle Dienste bieten auf dem Internet die Vermittlung von Spielern an, ja regelrechte Olympiaden entstehen. Wenn man im Suchdienst Yahoo auf der eigens dafür eingerichteten Seite nach Seiten über das neueste Spiel von id-soft Quake sucht, findet man ca. 700 Einträge (Stand 5/97). Für dieses Spiel existieren nicht nur die üblichen Graphik und Sound - Patches, sondern durch die Programmierschnittstelle Quake-C, die es ermöglicht die Grahikengine zu programmieren, entstehen Spiele, die mit dem Original im wesentlichen nur noch das Grundkonzept gemein haben. So entstehen zum Beispiel Abwandlungen, die stärker in den Rollenspielbereich einzuordnen sind, andere Programmierer versuchen Quake in Lego-Quake umzuwandeln, d.h. den Spielfiguren und der Umgebung das Aussehen der Lego-Figuren und Steine zu geben. Das geht insofern über simple Graphik und Soundpatches hinaus, als daß z.B. ein Objekt aus Legosteinen bei einem Aufprall in seine Einzelteile zerfällt, was bei einem soliden Objekt nicht der Fall ist.

Auch andere Spielegenres hat der Netzboom erfaßt. Strategiespiele bieten verschiedene Möglichkeiten Netze zu Nutzen: angefangen beim direktem, d.h. synchronem, Netzwerkspiel bis zum sogenannten PlayByMail (PBM), bei dem man sich - ähnlich dem Briefschach - seine Züge zuschickt - natürlich praktischerweise direkt als E-Mail. Klassische Computerrollenspiele - ein Genre, das in den letzten Jahren kaum Neuerscheinungen erlebt - scheinen durch den Netzwerkboom und die Möglichkeit, neuere und in der Darstellung realistischere Abwandlungen der klassischen MUDs zu erstellen einen neuen Aufschwung zu erfahren.

Ein ganz neuer Trend sind Spiele im - nicht über - das Internet. Diese mit Java oder über Browser-PlugIns realisierten Spiele beschränken sich momentan noch auf kleine Spielereien, aber auch hier ist ein starker Zuwachs zu erkennen. Allein die Möglichkeit sich in einer Highscoreliste mit anderen Spielern weltweit zu messen scheint einen Reiz auszuüben, der Spiele, die man sonst vermutlich nicht, oder zumindest nicht so oft s pielen würde, interessant macht.

Ein anderer Trend geht dahin, das Internet und dort vor allem Newsgroups, Chatrooms und Service-E-Mails zu nutzen, um Feedback über ein Spiel zu erhalten und diesen in den nächsten Versionen bzw. Patches des Spiels einzubauen. Einige Firmen unterhalten nur zu diesen Zwecken eigene Foren auf ihren Websites. Häufig sind es die Chefprogrammierer selbst, die in den verschiedenen Foren des Netzes mitdiskutieren. Die Firma MicroProse z.B. ist dafür bekannt, sehr viele Patches zu ihren Strategiespielen herauszubringen, die nicht nur die technischen Fehler beheben, sondern auch Regeln und Features ergänzen oder verändern. In diesen wird dabei vor allem auf Hinweise und Beschwerden aus den Newsgroups reagiert. Wenn dort z.B. eine Strategie diskutiert wird, die mit großer Sicherheit zu einem Sieg führt, und somit der Reiz, mit verschiedenen Strategien zu spielen, sinkt, wird man davon ausgehen können, daß mit dem nächsten Patch eine Regeländerung einhergeht, die diese Strategie angreifbarer macht. So kann es sein, daß eine mehrfach gepatchte Version eines solchen Spiels zwar noch gleich aussieht, aber ganz andere Strategien erfordert als die ursprüngliche.

Die Möglichkeit, direkt mit den Autoren eines Spiels zu kommunizieren, und die verschiedenen Möglichkeiten ein Spiel an eigene Wünsche anzupassen lassen hier die Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmen. Ähnlich wie in interaktiver Kunst geben hier die Produzenten einen Teil ihrer Macht über das Werk auf, indem sie zulassen, daß es von anderen beeinflußt wird. Dies kann dabei sowohl über direkte Manipulation mit Editoren oder ähnlichen Tools erfolgen, oder aber über die Rückmeldung in Spiele foren, die dann - quasi basisdemokratisch - über Änderungen entscheiden. Denkbar ist dabei, daß Spiele entstehen werden, die im PublicDomain-Sektor anzusiedeln sind - ähnlich wie z.B. die Rollenspiele der ersten Generationen, die ihren Ursprung noch auf textbasierten Systemen hatten, und an denen so viele Programmierer Teile hinzugefügt haben, daß z.B. bei Nethack selbst diejenigen, die Referenzversionen veröffentlichen, häufig nicht wissen, wie die eine oder andere Funktion implementiert ist bzw. wie einige Spielregeln genau lauten.

Ebenfalls vorstellbar ist es, daß Spiele während des Laufens geändert werden könnten, um wie in MUDs oder Habitat den Spielern die Möglichkeit zu geben, im laufenden Spiel Änderungen an Welten oder Gegenständen vorzunehmen. Damit würden dann die ursprünglichen Programmierer des Spiels nur noch Werkzeuge zur Verfügung stellen, die es den Spielern ermöglichen, virtuelle Welten zu schaffen, in denen sie ihre Alter Egos bewegen können. Diese aus den MUDs bekannte Interaktivität könnte zusammen mit dem aus den 3D-Shootern übernommenen Realitätseindruck zu einer Immersion des Spielers führen, die bisher dagewesenes bei weitem in den Schatten stellt und somit in der Lage wäre, neue psychologische und soziologische Phänomene zu erzeugen.

Peter Becker


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